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100 Jahre Österreich: Wie ein Andelsbucher die Republik prägte

Am 11. November 1918 endete nach vier Jahren der Erste Weltkrieg. Für Österreich bedeutete dies gleich mehrfach eine Zäsur: Nach der Niederlage folgten auf den monarchistischen Vielvölkerstaat die demokratische Republik "Deutschösterreich". Aktiv mittendrin der Vorarlberger Jodok Fink.
100 Jahre Land Vorarlberg

Das Ende des Großen Krieges und die Bedingungen der Nachkriegsordnung durch die 14 Punkte des US-Präsidenten Wilson waren im Herbst 1918 absehbar. Bereits am 17. Oktober veröffentlichte Kaiser Karl I. sein “Völkermanifest” für den österreichischen Teil der Doppelmonarchie. Ein Bundesstaat sollte den Vielvölkerstaat vor dem nationalistischen Zerfall – nicht zuletzt aufgrund des seit Jahrzehnten brodelnden Selbstbestimmungswunsches der Tschechen – retten, jedoch zu spät.

Österreich macht sich selbstständig

Auf Basis des Manifest wird jedoch noch am 21.Oktober gründen die österreichischen Teile des Reichsrats die provisorische Nationalversammlung für Deutschösterreich mit drei Nationalversammlungspräsidenten als Vorsitzende. Die Christlichsozialen werden hier vorerst vom Bregenzerwälder Landwirt und stellvertretenden Klubobmann Jodok Fink vertreten. Am 30. Oktober verabschiedet diese Nationalversammlung eine eigene Verfassung, einen der ersten Sargnägel für die Doppelmonarchie. Die Frage der Regierungsform, Monarchie oder Republik, lässt diese jedoch offen. Die Zukunft des Kaiserreichs und Österreichs war alles andere als klar, wie Meinrad Pichler im Video schildert.

©Der Kaiser 1917 in Bregenz. Ein Jahr geht er unter Widerstand über Feldkirch ins Exil. - Landesarchiv

Zukunftsgewandter Landwirt und Landespolitiker

Fink wurde am 19. Februar 1853 als neuntes Kind einer Andelsbucher Bauernfamilie geboren – war jedoch das erste Kind, das auch das Erwachsenenalter erreichte. Seine ersten Schritte machte der als fortschrittlich denkender Bauer bekannte Fink in der Gemeindepolitik und war als Landtagsabgeordneter einer der Vorbereiter und Begründer der christlichsozialen Partei im Ländle. Damals war das konservative Lager geteilt, Streitthemen waren die Rolle der Kirche und die Fortführung der Monarchie, Antisemitismus und antiliberales Gedankengut waren bei den Christsozialen weit verbreitet. Fink machte sich schnell einen Namen als Brückenbauer und Ermöglicher von Kompromissen innerhalb der Fraktion.

©An Jodok Fink erinnert eine Statue beim Bregenzer Bahnhof. - VN

Von Vorarlberg nach Wien

Im Ländle setzte er sich für die Wälderbahn, eine Landeshypothekenbank und die Sennereischule in Doren ein, schuff Mustergärten, ein Wasserkraftwerk und verlangte demokratische Reformen. 1897 wurde er Abgeordneter der Reichstag, dem Parlament des Kaiserreichs in Wien. Hier orientierte er sich ebenfalls, erst noch als wilder Abgeordneter, an den Christlichsozialen unter Karl Lueger. Mit dessen Tod 1910 wird die Partei gemäßigter, Finks Einfluss wuchs – was schlussendlich seine tragende Rolle 1918 ermöglichte. Im Herbst 1918 konnte er Lebensmittellieferungen aus der Schweiz nach Vorarlberg organisieren, um eine Hungersnot zu verhindern.

Proklamation und brennende Strohpuppen

Der überzeugte Demokrat und Parlamentarier war für ein eigenständiges Österreich, einen Anschluss an Deutschland oder eine Abspaltung Vorarlberg widerstrebten ihm. Am 11. November tritt der Waffenstillstand zwischen den Mittelmächten und den Entente in Kraft.  Der Kaiser trat zurück, gab aber im Feldkircher Manifest die Krone alles andere als auf. Verabschiedet wurde der Habsburger von einer brennenden Strohpuppe, wie Pichler im Video erinnert. Sowohl die Schaffung des selbstständigen Landes Vorarlbergs am 3. November wie der Übergang zur Republik gingen auf Finks direkte Beteiligung zurück.

©Am 12. November rief die Nationalversammlung die Schaffung der Republik aus. - APA/ÖNB-Bildarchiv

Kommunistischer Umsturzversuch

Am 12. November rief die Nationalversammlung die Republik aus – welche sofort in einem kommunistischen Umsturzversuch mündete. Beim Hissen der rot-weiß-roten Fahnen vor dem Parlament stürmten Rotgardisten unter dem Kommando des böhmischen Journalisten und “rasenden Reporters” Egon Erwin Kisch vor und rissen den weißen Bindenstreifen von den Fahnen. Konservative Volkswehr und Sozialdemokraten verwehrten jedoch den Rotgardisten den Zugang zum Parlament, die Kampfhandlungen sorgten für eine Massenpanik bei der ein Mann und ein Kind starben. Der kommunistische Umsturz verlief aufgrund fehlender Unterstützung durch die Bevölkerung im Sande.

Vizekanzler und Revolutionär

Jodok Fink wurde unter dem Sozialdemokraten Karl Renner zum Vizekanzler. Diese große Koalition wurde ebenfalls durch seinen Einsatz möglich, gegen den Widerstand seiner Partei. Der Andelsbucher stellte beim Parteitag die Zukunft von Volk und Staat über das “Übel” der Koalition. Während Renner in Frankreich den Frieden ausverhandelte, baute Fink als Vizekanzler und Träger der Regierungsgeschäfte die Erblanden in einer stillen Revolution zur Ersten Republik um. Das Ende der Regierung Renner war dann auch das Ende seiner Regierungstätigkeit, dem Parlament blieb er jedoch in führenden Positionen und als graue Eminenz der Christlichsozialen erhalten.

©Die Beerdigung von Fink 1929. - Landesbibliothek

Tod in der Heimat

1929 verstarb er schließlich im Alter von 76 Jahren in seiner Heimat Andelsbuch. Selbst in den Parteizeitungen der politischen Konkurrenz wurde er in Nachrufen hoch gerühmt. Zeitlebens galt er als integer, pragmatisch, kompromissorientiert und charakterfest. Seine Beerdigung wurde vom damaligen Bundeskanzler und Parteigenossen Ernst Streeruwitz besucht, sein Grab ist in Andelsbuch zu finden.

Meinrad Pichlers aktuellstes Werk “Menschen in Bewegung” zeigt, wie Biografien vom Zeitgeschehen schicksalhaft beeinflusst werden, wie sehr aber auch individuelle Eigenschaften und Entscheidungen die Lebenswege prägen. Der Nachruf Alois Niederstätters zum 150. Geburtstag Jodok Finks 2003 ist hier abrufbar.

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