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Deutsche Koalition: Das steht im Koalitionsvertrag

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Knapp zwei Monate hat es seit der Bundestagswahl gedauert, jetzt haben SPD, Grüne und FDP die Grundlage für ihre Zusammenarbeit in einer neuen deutschen Regierung geschaffen

In einem Industriehafen im Westen Berlins macht Deutschland sich im trüben November auf in die politische Zukunft. "Die Ampel steht", sagt Olaf Scholz, siegreicher Kanzlerkandidat der SPD und nun schon beinahe im Amt.

"Mehr Fortschritt wagen", ist das Motto hinter der Bühne, auf der Scholz und FDP-Chef Christian Lindner, die Grünen Robert Habeck und Annalena Baerbock sowie die SPD-Spitzen Norbert Walter-Borjans und Saskia Esken ihr "Bündnis für Freiheit, Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit" vorstellen.

Das sind die Kernpunkte:

  • Mindestlohn: Der gesetzliche Mindestlohn soll von derzeit 9,60 Euro auf 12 Euro pro Stunde steigen.
  • Mieten: Die Mietpreisbremse für Neuvermietungen soll verlängert werden. In Gebieten mit angespanntem Wohnungsmarkt soll zudem die Miete in bestehenden Mietverhältnissen binnen drei Jahren nur noch bis zu 11 Prozent steigen dürfen statt wie bisher bis zu 15 Prozent.
  • Energiekosten: Zum 1. Jänner 2023 soll die Finanzierung der milliardenschweren EEG-Umlage zur Förderung des Ökostroms über den Strompreis abgeschafft werden.
  • Homeoffice: Wer im Homeoffice arbeitet, soll auch im kommenden Jahr noch eine besondere Pauschale bei der Steuererklärung geltend machen können.
  • Staatsverschuldung: Die im Grundgesetz verankerte Schuldenbremse soll ab 2023 wieder eingehalten werden.
  • Nahverkehr: In den Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs soll mehr Geld gesteckt werden.
  • Bahnreform: Zwischen den größten Städten sollen Züge künftig im Halbstundentakt fahren, Umsteigezeiten sollen deutlich verkürzt werden.
  • Elektroautos: Die Lademöglichkeiten für Elektroautos sollen schneller ausgebaut werden.
  • Drogen: Cannabis soll für Erwachsene künftig zu Genusszwecken in lizenzierten Geschäften erhältlich sein.
  • Flüchtlinge: Mehr Flüchtlinge sollen künftig ihre Angehörigen zu sich nach Deutschland holen können.
  • Bundeswehr: Der Truppe soll die Bewaffnung von Drohnen ermöglicht werden.
  • Rüstungsexporte: Die deutschen Rüstungsexporte sollen mit einem neuen Gesetz effektiver beschränkt werden.
  • Atomare Abrüstung: Die grundsätzliche deutsche Ablehnung des Atomwaffenverbotsvertrags der Vereinten Nationen soll aufgegeben werden - eine Abweichung von der bisherigen NATO-Linie.
  • Wahlalter: Das Mindestalter für die Teilnahme an Bundestagswahlen soll von 18 auf 16 Jahre gesenkt werden.
  • Erneuerbare Energien: Bis 2030 soll Deutschland 80 Prozent seines Stroms aus erneuerbaren Energien beziehen. Bisher galt das Ziel, bis 2030 einen Anteil von 65 Prozent erreicht zu haben.
  • Führerschein: SPD, Grüne und FDP wollen das Mindestalter zum Erwerb eines Pkw-Führerscheins senken und begleitetes Fahren bereits ab 16 statt wie bisher mit 17 Jahren ermöglichen.

"Koalition auf Augenhöhe"

Scholz kündigte nach Abschluss der Verhandlungen mit Grünen und FDP eine "Koalition auf Augenhöhe" an. Ziel sei keine Politik "des kleinsten gemeinsamen Nenners", sondern gemeinsam "eine Stärkung des gesellschaftlichen Zusammenhalts", um "das Land besser zu machen". "Uns eint der Glaube an den Fortschritt", hob Scholz bei der Vorstellung des Koalitionsvertrages für die geplante Ampel-Regierung weiter hervor.

"Anwalt solider Finanzen"

FDP-Chef Christian Lindner betonte, Deutschland werde "der Anwalt solider Finanzen" bleiben. Ziele der Ampel seien zudem, private Initiative, privates Know-how und privates Kapital zu entfesseln. Auch müsse der Staat digitalisiert, die Bildung verbessert, sozialer Aufstieg erleichtert werden und eine gesellschaftspolitische Liberalisierung gelingen. Lindner würdigte Scholz als "starke Führungspersönlichkeit".

"Auf 1,5-Grad-Pfad"

Grünen-Co-Chef Robert Habeck äußerte sich zufrieden mit dem Koalitionsvertrag, insbesondere mit den Vereinbarungen zur Klimapolitik. "Wir sind auf einem 1,5-Grad-Pfad", sagt er. Die Ampel-Parteien wollten eine neue Geschichte schreiben, die "die Vereinbarkeit von Wohlstand und Klimaschutz" zeige. Statt immer neue Klimaschutzziele zu setzen, habe man sich entschieden, konkrete Maßnahmen zu vereinbaren.

Klimaneutralität

Der Koalitionsvertrag von SPD, Grünen und FDP ebnet nach Worten der Grünen-Ko-Vorsitzenden Annalena Baerbock den Weg Deutschlands in die Klimaneutralität. Die Ampel-Parteien wollten nicht den kleinsten gemeinsamen Nenner suchen, sondern in den entscheidenden Bereichen einen Paradigmenwechsel einleiten, sagte Baerbock.

Gratulationen aus Österreich

Die österreichischen Schwesterparteien gratulierten am Mittwoch zur Bildung der Ampel-Koalition in Deutschland. "Die rasche Einigung für eine fortschrittliche Koalition ist ein wichtiges Signal für einen politischen Aufbruch nicht nur in Deutschland, sondern in ganz Europa", teilte SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner in einer Aussendung mit. NEOS-Chefin Beate Meinl-Reisinger gratulierte ihrerseits der FDP und lobte das "umfassende, ambitionierte Erneuerungs- und Modernisierungsprogramm, das auf Freiheit, Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit" setze. "Solch eine mutige Politik brauchen Deutschland und die Europäische Union dringend", so Meinl-Reisinger in einer Mitteilung.

Auch die österreichischen Grünen gratulierten. "Die größte Industrienation Europas geht jetzt mit grünem Antrieb in Richtung Klimaneutralität, Umbau der Wirtschaft und sozialen Zusammenhalt. Die ambitionierten Vorhaben dieser Koalition werden auch für die aktuellen großen Herausforderungen in der EU Anstoß und Takt für wichtige Erneuerungsschritte geben", betonte Vizekanzler Werner Kogler (Grüne) am Mittwochabend in einer Stellungnahme. Klimaschutzministerin Leonore Gewessler (Grüne) sah "ein starkes Zeichen für den Klimaschutz". Der Koalitionsvertrag nehme viele wichtige Weichenstellungen, betonte sie. "Der Kohleausstieg, der Umstieg auf saubere E-Autos und der Ausbau der Erneuerbaren Energien sind wichtige, zukunftsträchtige Maßnahmen - und gut fürs Klima."

Finanzminister Gernot Blümel (ÖVP) lobte "ein klares Bekenntnis zum Europäischen Stabilitäts- und Wachstumspakt" im neuen deutschen Koalitionsprogramm. "Damit bleibt Deutschland auch in der neuen Koalition ein wichtiger Partner für Österreich und unsere Anliegen", erklärte Blümel in einer Stellungnahme. Auch hob er die geplante stärkere Regulierung von Kryptowährungen hervor.

(APA)

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