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Jüdische Gemeinde ängstigt gestiegener Antisemitismus

Screenshot aus dem Video des mutmaßlichen Schützen
Screenshot aus dem Video des mutmaßlichen Schützen ©APA-AFP-ATV-Studio Halle - ANDREAS SPLET
Die Schüsse in Halle seien das jüngste Anzeichen eines zunehmenden globalen Antisemitismus. Es seien jetzt "Taten statt Worte" nötig.
Halle: Was wir wissen - und was nicht

Die jüdische Gemeinde in Deutschland ist fassungslos über den Angriff auf Gläubige in einer Synagoge an einem der höchsten jüdischen Feiertage. Immer mehr Stimmen werden in der Gemeinde laut, dass es so für die Juden Deutschlands nicht weiter gehen kann.

Halle jüngstes Zeichen von zunehmendem Antisemitismus

Die Schüsse in Halle mit zwei Toten und mehreren Verletzten sind laut dem Amerikanisch-Jüdischen Komitee das jüngste Anzeichen eines zunehmenden globalen Antisemitismus. "Wir haben seit mehreren Jahren gesagt, dass Antisemitismus echt ist, wiederauflebt, tödlich ist und verschiedene Quellen hat", sagte der Hauptgeschäftsführer David Harris in einem Interview.

Zentralrat der Juden - Kritik an Polizei: "Zu spät bei Synagoge"

Der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Josef Schuster, hat nach dem Angriff schwere Vorwürfe gegen die Polizei erhoben. "Dass die Synagoge in Halle an einem Feiertag wie Jom Kippur nicht durch die Polizei geschützt war, ist skandalös", teilte Schuster am Mittwochabend mit. "Diese Fahrlässigkeit hat sich jetzt bitter gerächt." Nur glückliche Umstände hätten ein Massaker verhindert, sagte Schuster in Würzburg.

Der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde der ostdeutschen Stadt Halle, Max Privorozki, hat der Polizei eine zu langsame Reaktion beim versuchten Angriff auf die Synagoge vorgeworfen. "Die waren zu spät vor Ort", sagte Privorozki in einem Video, das am Mittwoch vom Jüdischen Forum für Demokratie und gegen Antisemitismus auf Twitter veröffentlicht wurde.

Mindestens 10 Minuten hätten sie gebraucht, als er angerufen und gesagt habe: "bewaffneter Anschlag gegen die Synagoge". Privorozki machte deutlich, dass mehrfach auch im Bundesland Sachsen-Anhalt der Wunsch nach Polizeischutz für Synagogen geäußert worden sei - "genauso wie in großen Städten wie Berlin, München Frankfurt".

Privorozki berichtete, dass in der Gemeinde 51 Menschen waren - das habe die Polizei bei der späteren Evakuierung erzählt. Neben Gemeindemitgliedern war nach seiner Darstellung auch eine Gruppe junger US-Amerikaner bei der Feier zum höchsten jüdischen Feiertag Jom Kippur dabei.

Der Gemeinde-Vorsitzende erzählte: "Wir haben zuerst Schüsse gehört." Ein Sicherheitsmann und er hätten dann über den Monitor einer Kamera gesehen, wie jemand, der wie ein Spezialeinheitsoldat gekleidet gewesen sei, jemanden erschossen habe. Danach habe er gegen die Tür geschossen.

Die Leute hätten sich in der Synagoge verbarrikadiert. Beide Eingangstüren seien verbarrikadiert gewesen, mit Möbeln, mit allem Möglichen - für den Fall, dass der Täter die Außentür aufgebrochen hätte. Gott sei Dank habe er dies aber nicht geschafft, so Privorozki.

Knobloch: Trauer und Wut nach Anschlag auf Synagoge in Halle

Der Angriff auf eine Synagoge in Halle/Saale hat die Präsidentin der israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern, Charlotte Knobloch, mit "Trauer und Wut" erfüllt. "Wenn ein schwer bewaffneter Terrorist auf offener Straße mordet, und wenn ein Zentrum jüdischen Lebens in einer deutschen Stadt am höchsten jüdischen Feiertag mit Schusswaffen und Sprengsätzen angegriffen wird, dann ist das ein Angriff auf das Zusammenleben in unserem Land", sagte Knobloch laut einer am Mittwochabend verbreiteten Mitteilung. "Die Tat macht deutlich, wie schnell aus den Worten von politischen Extremisten Taten werden können", hieß es weiter. Ein schwerbewaffneter mutmaßlicher Rechtsextremist hatte am höchsten jüdischen Feiertag Jom Kippur versucht, in der Synagoge ein Blutbad unter Dutzenden Gläubigen anzurichten. Der 27-jährige Deutsche wollte nach Angaben aus Sicherheitskreisen die Synagoge mit Waffengewalt stürmen, scheiterte jedoch. Danach soll der Mann vor der Synagoge und in einem nahen Döner-Imbiss zwei Menschen erschossen und mindestens zwei weitere verletzt haben. Er floh vom Tatort und wurde am Nachmittag festgenommen.

Jüdischer Weltkongress fordert "Taten statt Worte"

Der Jüdische Weltkongress (WJC) hat nach dem Angriff auf eine Synagoge in Halle einen besseren Schutz jüdischer Einrichtungen verlangt. "Leider ist die Zeit gekommen, in der alle jüdischen Gebetshäuser und andere jüdische Einrichtungen eine erhöhte Sicherheit durch staatliche Sicherheitskräfte benötigen", so der WJC-Vorsitzende Ronald Lauder am Mittwoch. Es seien "Taten statt Worte" nötig.

Lauder rief außerdem dazu auf, "eine einheitliche Front gegen neonazistische und extremistische Gruppen" zu bilden. Den tödlichen Angriff in Halle nannte er "entsetzlich".

Am Abend nahm Bundeskanzlerin Angela Merkel an einer Solidaritätsveranstaltung an der Synagoge in der Oranienburger Straße in Berlin teil. Auch in anderen deutschen Städten versammelten sich Menschen in der Nähe von Synagogen und gedachten der Toten. In Halle legten Menschen am Marktplatz Blumen und Kerzen nieder.

PK am Donnerstag

Deutschlands Innenminister Horst Seehofer will am Donnerstagnachmittag auf einer gemeinsamen Pressekonferenz mit dem Präsidenten des Zentralrats der Juden, Josef Schuster, und Sachsen-Anhalts Innenminister Holger Stahlknecht (CDU) über neue Erkenntnisse informieren.

(APA) (Red.)

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