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Konstruierte Bühnenwelt

©Anja Köhler
Temporäre Architektur für das Spiel auf dem See.

Das Bühnenbild für das Spiel auf dem See der Bregenzer Festspiele ist heuer von besonderer Schönheit. Japanisch minimal, gehaltvoll theatral wirkt es als Assoziationsraum für ein tieftrauriges Kammerspiel und bereichert auch abseits der Spielabende das Bregenzer Stadtbild. Was so luftig und leicht wirkt, ist eine temporäre Architektur mit solider Konstruktion. Technikdirektor und Konstrukteur geben Einblicke in das, was man nicht sieht.


Erster Aufzug im Libretto, im Text zur Oper, "Madame Butterfly" von Giacomo Puccini. Die Szene führt an einen Hügel bei Nagasaki und eröffnet gedanklich die Tür zu einem japanischen Haus mit Blick auf Stadt und Hafen. Der Heiratsvermittler Goro führt einen Lieutenant der US-Marine, B.F. Pinkerton, in das Haus, das er mit seiner zukünftigen Frau, Cio-Cio San, die als Geisha auch den Namen "Butterfly" trägt, bewohnen wird. "Diese Wände und Decken ..." sinniert der Bräutigam in der ersten Szene. "Könnt Ihr alle verschieben. Und immer nach Belieben. In demselben Gemache. ‚nen wechselnden Anblick Euch verschaffen", antwortet Goro. Schon bald wird klar, das Schicksal der Madame Butterfly ist kein leichtes. Emotional und sexuell ausgebeutet bleibt sie zurück, als der Offizier wieder in See sticht. Sextourismus hat eine lange Geschichte. Sie will ihr Schicksal und den Ehrverlust nicht annehmen. Mit dem gemeinsamen Sohn wartet sie auf die Rückkehr ihres Mannes, der schließlich endlich, nach langem und zehrendem Warten, wiederkehrt, um mit seiner amerikanischen Frau sein Kind zu holen. Madame Butterfly erkennt die Chance für das Kind und nimmt sich selbst das Leben. "Wie ein Stück Papier, zerknüllt und ins Wasser geworfen", umschreibt die Intendantin der Bregenzer Festspiele, Elisabeth Sobotka, das vom kanadischen Bühnenbildner Michael Levine entworfene Bild für Madame Butterfly. "Ikonenhaft, poetisch und voller Magie", nennt es Wolfgang Urstadt, Technikdirektor der Bregenzer Festspiele. "Der Trick, der die Bühnenskulptur heuer so leicht wirken lässt, heißt Perspektive", erläutert er. "Die Bühnenflächen verjüngen sich nach außen." Nur 12 cm dick ist die Außenkante des Bühnenrandes und kann doch bis zum letzten Zentimeter bespielt werden. Im Abstand von 30 cm sind die Holzelemente als stabiles Stecksystem miteinander verbunden.

Gemeinsam mit 33 Parnterfirmen haben Wolfgang Urstadt und sein Team die Ideen des Künstlers umgesetzt. Eine davon ist das in Dornbirn ansässige Büro Merz Kley und Partner. Die auf Holztragwerke spezialisierten Bauingenieure verantworten die Konstruktion der Bühne. „Unsere Aufgabe war, die Entwicklung und konstruktive Überlegungen zum Tragwerk, die Ermittlung der Dimensionen, die Berechnung und Ausschreibung“, erläutert Niklas Fritz. Ein halbes Jahr war für die Planung reserviert, die Antworten auf viele Fragen finden musste. Aufgebaut wird das Bühnenbild für das Spiel auf dem See alle zwei Jahre auf Holzpiloten rund um eine fixe Konstruktion, einen Betonkern. Dieser ist fest im Bodensee verankert. In ihm sind Künstlergarderoben und Technikräume untergebracht. Die Holzkonstruktion um diesen Kern muss Wind und Wetter standhalten, wasserfest sein, stabil und sicher. Holz und Wasser, kann das gut gehen? „Der große Vorteil ist die kurze Nutzungsdauer,“ weiß der Bauingenieur. „Holz und Feuchtigkeit kennt zwei Herausforderungen. Die Fäulnis ist hier aber kein Problem, weil die Nutzungsdauer da - für zu kurz ist. Und das Quellen und Schwinden war hier durch die Wahl von Brettsperrholz kein Problem. Es ist auch bei Feuchtigkeit sehr formstabil.“ Die Bretter, die die Welt bedeuteten, sind in Bregenz aus Brettsperrholz. Darunter liegt eine Stahlkonstruktion. Das Brettsperrholz wurde nicht flächig verbaut, sondern in Form von Kisten. „Das war vor allem ein geometrisches Thema. Die Kisten haben uns gestalterische Freiheit gebracht. Wir konnten die Übergänge freier gestalten und Höhensprünge besser realisieren.“ Die einzelnen Schritte wurden durch Vorproduktion beschleunigt und vereinfacht. „Vorproduktion ist immer ein Zeitfaktor, vermindert aber auch das Risiko von Schäden.“ Die gewölbte Fläche, die mithilfe dieser Kisten entstand, misst 1340 Quadratmeter, auf denen die Darsteller(innen) während der Aufführung einige Kilometer an Wegen zurücklegen, auf und ab, das verlangt von den Sänger(inne) n nicht nur Stimmfestigkeit, sondern auch körperliche Kondition.

Nicht nur die Fläche der Bühne ist bemerkenswert, sondern auch ihr Gewicht mit 300 Tonnen. Standhaft muss sie sein, die Seebühne, die auch die Jahreszeiten überdauern muss, bis zum nächsten Festspielsommer. Sie ist Wind und Wetter ausgesetzt und so mitunter auch einer nicht zu unterschätzenden Schneelast im Winter. Vor allem der Wellenschlag des Bodensees ist eine Herausforderung für die Konstruktion. Was so luftig und leicht wirkt, ist damit eine temporäre Architektur mit solider Konstruktion.


Daten und Fakten

Objekt Seebühne, Bregenz
Bauherr Bregenzer Festspiele GmbH
Bühnenbild 2022/23 Michael Levine
Statik Papierbild: merz kley partner, Dornbirn www.mkp-ing.com Fachplanung Andres Geotechnik AG, Gaisberger ZT GmbH, Rudhardt Gasser-Pfefferkorn ZT GmbH, Exent AG, Heinz Millner ZT GmbH
Planung März 2019–Oktober 2019
Ausführung September 2021–Mai 2022
Grundstück 1340 m²
Keller Stahlunterkonstruktion
Bauweise Stahlkonstruktion mit aufgesetzten Brettsperrholzelementen
Besonderheiten komplexe Geometrie, Wellenbelastungen
Ausführung Gründung: Keller Grundbau GmbH, Salzmann Hafenbau GmbH Stahlbau: Biedenkapp Stahlbau GmbH, Ludwig Steurer Maschinen und Seilbahn - bau GmbH; Holzbau: i+R Holzbau GmbH Sonstige: la Mimesi, BSS Industry GmbH, Bootswerft Hartmann, Geiger Technik GmbH, Haberkorn GmbH, Unican GmbH
Produktions- und Baukosten ca. 8,5 Mill. Euro

Text: Verena Konrad | Fotos: Petra Rainer, Canja Köhler

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