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Kurt Fischer: "Dankbar für besondere Augenblicke"

Kurt Fischer kam beinahme zufällig in die Politik
Kurt Fischer kam beinahme zufällig in die Politik ©MiK
Lustenau - WANN & WO traf den Lustenauer Bürgermeister und sprach über Begegnungen, seine Kindheit und das Spezielle an Lustenau.

WANN & WO: Wie würden Sie Ihre Kindheit beschreiben?

Kurt Fischer: Eigentlich sehr glücklich, unbeschwert und viel in der Natur. Ich bin in der Schmiedgasse aufgewachsen, sehr zentral gelegen. Mein Nachbar hatte eine kleine Landwirtschaft, für mich als Kind war das ein großer Hof. Hermann war mit Leidenschaft Bauer und Hufschmied und für mich ein wunderbarer Opa-Ersatz. Als ich vier Jahre alt war, durfte ich mit ihm oft mit Ross und Wagen ins Ried. Die Jahreszeiten als Kind zu erleben, das Säen und Ernten, war wunderschön, auch der Bezug zu den Tieren war etwas ganz Besonderes und für mich auch prägend.

WANN & WO: Haben Sie das Gefühl, es ist heute immer noch so?

Kurt Fischer: Otto Hofer hat ein schönes Buch geschrieben: „Geboren in Lustenau“. Ich war bei seiner Buchpräsentation, er ist auch in der Nähe aufgewachsen. Als er seine Kindheitsgeschichten vorgetragen hat, habe ich gemerkt, dass meine Kindheit viel näher an seinen Erzählungen ist, als die meiner Töchter. Wir haben auf der Straße Federball gespielt und „Ball über die Schnur“ und wenn ein Auto gekommen ist, sind wir kurz auf die Seite und haben gleich weitergespielt. Das ist heute kaum mehr vorstellbar.

WANN & WO: Sie wohnen ja in einer Art Bauernhaus. Kommt das auch aus der Kindheit?

Kurt Fischer: Ja, meine Frau Beate und ich fühlen uns hier sehr wohl. Es ist sanft saniert, aber sonst so, wie es war. Wir haben einen besonderen Bezug zu Tieren und zur Natur. Meine Gota hatte einen kleinen Bio-Hof am Götzner Berg und dort war ich oft als Kind. Ich bin auch gern im Bregenzerwald – ich mag das einfach.

WANN & WO: Wann kam der Gedanke, Lehrer werden zu wollen?

Kurt Fischer: Es laufen viele Dinge im Leben über Familie oder Beziehungen. Ich hatte das Glück, dass mich im Gymnasium ein Lehrer für die Studienrichtung bzw. den Beruf begeistern konnte.

WANN & WO: Wer sind Ihre Lieblingsphilosophen?

Kurt Fischer: Was mich immer fasziniert hat, ist philosophische Zeitkritik. Günther Anders, mit dem ich den Geburtstag teile, sprach von „Gelegenheitsphilosophie“ – Philosophie, die unsere heutige Situation zum Gegenstand hat. Um Namen zu nennen: Adorno, Heidegger, Nietzsche oder Hannah Arendt. Heidegger hat einmal gesagt, dass die Späteren die Vergangenen besser verstehen, als diese sich selbst. Und das ist keine Arroganz, sondern man muss raushören, was uns große Denker heute zu sagen haben. Auch die französische Philosophie hat mich immer fasziniert, besonders Derrida und Baudrillard. Wir verbringen gerne unseren Familienurlaub in Frankreich. Dort decke ich mich immer mit philosophischer Literatur ein und kämpfe mich durch die Texte – schon ein bisschen ein Ritual (lacht).

WANN & WO: Und beantworten Ihre Mails am Strand, wie die von mir?

Kurt Fischer: Nicht gerade am Strand, ich möchte aber wissen, was läuft, einen Überblick behalten. Dann ist mir wohler, als wenn ich tagelang offline wäre. Ich bin kein Offline-Mensch, aber auch nicht permanent online. Ich möchte aber wissen, was in Lustenau los ist.

WANN & WO: Was machen Sie sonst so im Urlaub?

Kurt Fischer: Beate und ich sind leidenschaftliche Jogger und wir erlaufen uns jede Stadt, egal wo wir sind. In drei Wochen Urlaub sind wir etwa 150 Kilometer gelaufen und das ist für mich ganz wichtig: der gemeinsame Sport und die Zeit miteinander. Gestern sind wir 14 Kilometer nach Hohenems gelaufen. Ein Traum! Bewegung ist eine wunderbare Kraft- und Energiequelle.

WANN & WO: Was ist für Sie als Ausgleich zum Beruf noch wichtig?

Kurt Fischer: Das ist besonders die Musik, das Musizieren. Heuer durfte ich mit meiner Band „Darwin“ das Freudenhaus im Millennium Park eröffnen – ein unvergesslicher Abend. Schön waren vor allem auch die Proben. Einen Proberaum haben wir nicht mehr, dieser ist in unserem Wohnzimmer, wo das Klavier steht.

WANN & WO: Waren Sie auf dem heurigen Szene OpenAir?

Kurt Fischer: Ja, das ist für mich ein Fixtermin und ein besonderer Ort, wo sich Generationen treffen. Ein ehemaliger Schüler spielte heuer mit „The Weight“ auf der großen Bühne – für mich eines der Highlights.

WANN & WO: Was war ausschlaggebend für den Weg in die Politik?

Kurt Fischer: Ich war Lehrer am BG Dornbirn und habe ich mich Anfang der 90er zusammen mit Prof. Gerhard Winkler für ein Gymnasium in Lustenau eingesetzt. Wir haben ein Konzept geschrieben, das wir der Ministerin Gehrer und der damaligen Landesrätin Waibel geschickt haben. Aufgrund gewisser Entwicklungen ist es plötzlich sehr schnell gegangen. Dann bin ich mit einem kleinen Gründer-Team nach Lustenau und wir haben mit dem Gymnasium gestartet. So hatte ich mehr Kontakte mit dem „offiziellen“ Lustenau und kurz vor der Gemeinderatswahl 2000 wurde ich gefragt, ob ich mich im Bildungsbereich mitarbeiten möchte. Wie es der Zufall wollte, wurden zwölf Mandate erreicht und so rutschte ich mit meinem zwölften Listenplatz in die Gemeindevertretung. Die ÖVP bekam das Bildungsressort und es kam der Vorschlag, dass ich Gemeinderat für Bildung werde. Ich hatte ehrlich gesagt keine genaue Vorstellung von der Arbeit eines Gemeinderats. Aber ich habe zugesagt, obwohl ich zur der Zeit kurz davor war, den elterlichen Betrieb zu übernehmen.

WANN & WO: Eine Druckerei, oder?

Kurt Fischer: Druckvorstufe, Klischee und Repro. Mein Vater hat glaub’ ich die Druckplatten für das erste W&W-Titelblatt produziert. Ich kann mich noch erinnern, dass Harald Kloser bei uns in der Firma war. Jahre später traf ich ihn in LA, wo wir bei Tommy Schobel unsere CD aufnahmen. Das war 1998. Zwei Jahre später übernahm ich den Familienbetrieb und führte ihn bis 2010.

WANN & WO: Dann sind Sie Bürgermeister geworden?

Kurt Fischer: Ja, das war auch keine leichte Entscheidung. 2007 ist mein Vater völlig überraschend nach einem Schlaganfall gestorben – er war immer leidenschaftlich mit dabei. Ich habe das Geschäft geführt, bis ich Bürgermeister wurde – von einem Tag auf den anderen musste meine Schwester den Betrieb übernehmen – ich bin froh, dass sie weiterführt, was unser Vater aufgebaut hat.

WANN & WO: Landtagsabgeordneter waren Sie ja auch noch.

Kurt Fischer: Ja, eigentlich sehr überraschend ab 2004. Ich war am Wahlsonntag auf der Alpe Weißfluh unterwegs. Nur Optimisten haben geglaubt, dass wir das zusätzliche Mandat schaffen. Der Handyempfang war miserabel und so habe ich erst sehr spät erfahren, dass ich im Landtag bin.

WANN & WO: Wie verändert sich Lustenau?

Kurt Fischer: Es verändert sich und wächst und doch hat es seinen besonderen Charakter. Ich fühle mich in meinem Amt und als Bürger sehr wohl, weil das Zusammenleben bei uns noch gut funktioniert. Und dies ist nicht das Verdienst der Politik, sondern der vielen Menschen, die sich für unser Lustenau engagieren. Wir haben ein vielfältiges Vereinsleben, ein starkes soziales Netzwerk. Das gibt den Menschen Heimat und Verwurzelung. Ob die Austria nun gewinnt oder verliert, im Mittelpunkt steht die Begegnung – nicht hierarchisch, auf sondern auf Augenhöhe: der Lehrling trifft seinen Chef usw. Unser Vereinsleben ist ein Schatz, dem die Politik gute Rahmenbedingungen geben kann. Schlussendlich geht es immer um die Menschen. Durch Beziehungen kann man auch von anderen lernen, egal ob jetzt bei meinen NachbarbürgermeisterInnen oder bei den KollegInnen in der Schweiz. Je persönlicher und enger die Beziehung ist, desto offener ist man und lässt sich auch in die Karten schauen.

WANN & WO: Wie sehen Sie Lustenau in der Zukunft?

Kurt Fischer: Man muss sich nichts vormachen, es wird immer urbaner werden. Der erfolgreiche Wirtschaftsstandort Unteres Rheintal, der auch hohe Lebensqualität bietet, zieht viele Menschen an. Unsere Region wächst sehr dynamisch, aber dennoch gibt es sehr intakte Naherholungsräume. Der Druck auf diese Naturräume steigt, das sehen wir auch im Ried oder am Alten Rhein. Eine Generationenaufgabe ist die Entlastung vom Grenzverkehr, vor allem vom Schwerverkehr. Das 24-Stunden-Zollamt muss aus dem Siedlungsgebiet hinaus. Das andere zentrale Thema ist der Hochwasserschutz. Die Planungen in beiden Bereichen laufen, aber ich weiß nicht, wie alt ich werde, bis die ersten Autos über die Z in die Schweiz fahren.

WANN & WO: Wie ist das Verhältnis zu den Schweizer Nachbarn?

Kurt Fischer: Wir können viel voneinander lernen und man darf nicht vergessen, dass 20 Prozent der Lustenauer Gemeindeflächen den Schweizer Ortsgemeinden Au, Widnau und Schmitter gehören. Deshalb haben wir auch historisch gute Beziehungen. Ich kann mich gut an 2010 erinnern. Als ich erst seit ein paar Wochen als Bürgermeister im Amt war, kam ein Anruf meiner Kollegin Christa Köppel aus Widnau, ob ich nicht am 1. August Festredner sein wollte. „Jô, habediere“, habe ich mir gedacht, als „Habsburger“, als Österreicher (lacht). Aber es war super!

WANN & WO: Was ist für Sie das Besondere an Lustenau?

Kurt Fischer: Natürlich der Dialekt. Wir haben eine Mundart-App gemacht, die Jung und Alt begeistert. Als wir diese im Freudenhaus präsentiert haben, waren die Rückmeldungen überwältigend. Speziell ist auch, dass man bei uns auf Du und Du ist, das macht vieles leichter.

WANN & WO: Wie geht es Ihnen nach Ihrer überstandenen Krebserkrankung?

Kurt Fischer: Mir geht es bestens – zum Glück! Im August habe ich mit Beate beim Jannerseetriathlon in der Staffel mitgemacht, wie seit vielen Jahren. Die Teilnahme im Jahr 2014, vier Monate nach dem Ende der Behandlung, war etwas ganz Besonderes und natürlich habe ich daran gedacht. Man lebt viel intensiver, ob im Beruf oder Privatleben. „Nütze den Tag“ ist mehr als ein bekannter Spruch. Man ist dankbar für besondere Augenblicke.

WORDRAP

Lustenau: Dialäkt.
Arbeit: Frey.
Zukunft: Z’Luschnou.
Familie: Oase.
Freizeit: Frey ha.
Vorarlberg: A schöuos Ländle.
Dialekt: Muottrsprôôch.
Golden Retriever: Freund für’s Läobo.

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