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Shoah-Überlebende: "Antisemitismus ist ein Krebs"

Rabbi Arthur Schneier bei der Shoa-Gedenkveranstaltung in der Hofburg.
Rabbi Arthur Schneier bei der Shoa-Gedenkveranstaltung in der Hofburg. ©APA/HERBERT PFARRHOFER
"Antisemitismus ist ein Krebs - und jetzt ist der Krebs wieder zurück": Die Worte des Rabbis bei der Gedenkveranstaltung in der Wiener Hofburg waren klar und mahnend.
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Im Parlament ist am Freitagvormittag im Beisein österreichischer Shoah-Überlebender aus Israel der Novemberpogrome 1938 gedacht worden. “Antisemitismus ist ein Krebs”, erklärte dabei Rabbi Arthur Schneier und warnte, dass dieser Krebs nun zurückkomme. Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka (ÖVP) bat die Gäste aus Israel in seiner Ansprache im Namen Österreichs um Verzeihung.

Der Krebs ist zurück

Die Veranstaltung im Großen Redoutensaal des Parlamentsausweichquartiers in der Hofburg fand in Anwesenheit von Bundespräsident Alexander Van der Bellen und der österreichischen Shoah-Überlebenden, die derzeit auf Einladung von Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) in Wien weilen, statt. Rabbi Schneier meinte in seiner Rede, er sei davon ausgegangen, dass man nach dem Holocaust nicht mehr über Antisemitismus sprechen müsse, habe sich aber geirrt: “Jetzt ist der Krebs wieder zurück und hat Metastasen gebildet, in Europa und jetzt in der USA.” Schneier mahnte aber auch, sich nicht von der Vergangenheit lähmen zu lassen, sondern aus dieser zu lernen: “Die Gegenwart und die Zukunft haben zu viele Herausforderungen, als dass wir uns nur auf die Vergangenheit beschränken.”

Juden und Hunde unerwünscht

Schneier teilte seine eigene Erfahrung über die Novemberpogrome: “Über Nacht war ich zum Außenseiter geworden. Die meisten meiner christlichen Klassenkameraden wollten nichts mehr mit mir zu tun haben, im Klassenzimmer, im Park und in der Konditorei: Juden und Hunde unerwünscht. Ich habe sehr gerne Lederhosen getragen, aber Lederhosen, Dirndl für Juden? Kommt nicht infrage, verboten.” Er habe aber seine erste Lektion gelernt, denn Kinder würden nicht mit Hass geboren, sondern es werde ihnen beigebracht, wie man hasst. “Früh in meinem Leben habe ich das Beste und die Bestie im Menschen kennengelernt. Ich glaube fest daran, dass das Beste im Menschen die Oberhand behalten wird.”

Jeden Tag verliere man weitere Zeugen, gab Schneier zu bedenken: “Daher ist es Aufgabe der nächsten Generation, uns zuzuhören, was wir erlebt haben und was wir alles tun müssen, um so eine Katastrophe zu vermeiden.” Er selbst habe sich nicht gedacht, dass er 80 Jahre nach den Pogromen am Leben sein werde.

Null Toleranz gegenüber Antisemitismus

Das heutige Österreich sei nicht jenes von 1938, und so bedankte sich Schneier bei Bundeskanzler Kurz dafür, dass man sich zu “Null Toleranz gegenüber Antisemitismus” bekannt habe. Österreich sei ein kleines Land, Schneier verglich es mit einem Schlauchboot und meinte, dass der größte Ozeanriese keinen Hafen ohne Schlepperboote anlaufen kann: “Große Mächte brauchen diese Schlauchboote und Österreich hat immer wieder diese Rolle übernommen.” Das Land habe einen großen Beitrag zum Weltfrieden geleistet, so der Rabbi.

“Österreich hat sich verändert”, das betonte auch Nationalratspräsident Sobotka. Er verwies auf den “Namensturm” am Donaukanal dieser Tage, wo mit einer Lichtinstallation den Opfern der Shoah gedacht wird. Auf der Fassade des Turms stehen in großen Lettern die Namen jener Menschen, die an dieser Stelle gelebt haben und deportiert wurden, erklärte Sobotka. Die 68 Namen stehen symbolisch für 66.000 ermordete Österreicher jüdischen Glaubens. Würde man all jener 66.000 gedenken, bräuchte es tausend solcher Türme, stellte der Nationalratspräsident fest.

Viele Österreicher waren keine Opfer

Sobotka betonte in seiner Rede weiters: “Niemals wieder dürfen Verhetzung und Hass unsere Gesellschaft derart bestimmen und zu Taten verleiten, die gegen alles gehen, was uns als Menschen ausmacht.” Sich zu erinnern, öffne aber die Chance, aus der Vergangenheit die richtigen Schlüsse zu ziehen.

“Viele Österreicher haben in der Zeit des Nationalsozialismus Schuld auf sich geladen, denn es waren keine Opfer, die am Heldenplatz gestanden sind und gejubelt haben”, so Sobotka. Allzu lange habe sich Österreich als Opfer gesehen und erst spät und zögerlich seien relevante Schritte gesetzt worden. Sobotka wandte sich an die Gäste und erklärte, niemand können ihnen das ersetzen, was ihnen angetan oder geraubt wurde – die Heimat, die Kindheit, die Familie. Es sei aber seine moralische Verantwortung, sich mit Demut und Respekt zu verneigen und im Namen Österreichs um Verzeihung zu bitten.

Namensmauer als nächstes Projekt

Bundeskanzler Kurz erklärte: “Ich kann Ihnen versichern, dass Österreich heute ein anderes Land ist und sich seiner historischen Verantwortung bewusst ist. Wir alle als Bundesregierung, Republik, politische Verantwortliche wissen, dass wir eine Pflicht haben zu gedenken.” Ziel des Gedenkjahres sei es aber nicht nur, sich bei diesen Veranstaltungen zurück zu erinnern, sondern auch nachhaltige Zeichen der Erinnerung zu schaffen. Ein derartiges Projekt sei jenes für die Namensmauer, für dessen Umsetzung sich Kurt Tutter eingesetzt habe.

“In Österreich und Europa darf es keinen Platz für Antisemitismus geben”, so Kurz weiter. “Unsere historische Verantwortung endet weder an der österreichischen noch an der europäischen Grenze”, denn Österreich habe eine Verantwortung, nicht nur für jüdisches Leben hierzulande und in Europa, sondern auch gegenüber den Juden in Israel. Der Kanzler verwies daher auf den geplanten Besuch von Premier Benjamin Netanyahu in Wien und seine Teilnahme an der Konferenz zur Bekämpfung von Antisemitismus und Antizionismus.

Schönborn erinnert an christliches Versagen

Angesichts des 80. Jahrestags der Novemberpogrome hat Wiens Erzbischof Kardinal Christoph Schönborn am Freitag betont, dass die christlichen Kirchen in Österreich unverbrüchlich an der Seite der jüdischen Gemeinde stehen. Nach der Herbstvollversammlung der Bischofskonferenz sprach er bezüglich des Gedenkens vom schmerzlichen Eingestehen eines mehrfachen Versagens.Einmal mehr plädierte Schönborn für Menschlichkeit in der Asyldebatte und für eine Stärkung des humanitären Bleiberechts samt Einbindung der Länder und Gemeinden. Viele ernsthafte Stimmen aus Gesellschaft, Wirtschaft und Politik plädierten dafür, und die römisch-katholischen Bischöfe unterstützten dies ausdrücklich.

(APA/red)

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