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Trotz Vollzeit: "Schaffa, schaffa, überleba"

Larissa Köb.
Larissa Köb. ©Sams
Friseurin Larissa Köb (27) aus Wolfurt sucht einen Lehrling, findet keinen – und kann das sogar verstehen. "Es kann nicht sein, dass sich Arbeit nicht lohnt", sagt sie.

Von Anja Förtsch (W&W)

Donnerstagmorgen, Friseur-Meisterin Larissa Köb stehtin ihrem Salon in Wolfurt. Allein. Denn die 27-Jährige sucht vergebens nach einem Lehrling. „Niemand will den Job mehr machen“, sagt die Herzblut-Friseurin. Nach ihrer Lehre hat sie zusätzliche Master Classes besucht, in London beim exklusiven Salon Toni & Gui gearbeitet und sogar bei der London Fashion Week frisiert. Larissa lebt und liebt ihren Beruf. Und trotzdem: „Ich kann verstehen, dass niemand mehr FriseurIn werden will.“

Arbeit muss sich lohnen

Denn trotz Vollzeit-Job sei das Leben als FriseurIn bei den aktuellen Lebens- und Immobilienpreisen im Ländle praktisch nicht mehr leistbar. „Jedenfalls nicht, wenn man alleinstehend ist oder sich nicht vom Gehalt des Mannes abhängig machen will.“

Zum Vergleich: Eine FriseurIn erhält im ersten Arbeitsjahr laut Kollektivvertrag 1300 Euro netto monatlich. Jährliche Steigerung? Die ist marginal: Pro Jahr steigt das Gehalt um gerade einmal 25 Euro. „Ab dem sechsten Berufsjahr habe ich im Monat 1425 Euro netto verdient“, erzählt Larissa. „Wäre ich arbeitslos gemeldet gewesen, hätte ich 1200 Euro bekommen. So gesehen habe ich für 225 Euro 40 Stunden in der Woche gearbeitet – zuzüglich Überstunden. Wo ist denn da der Anreiz, arbeiten zu gehen?“

Wohnung? Aussichtslos!

Im April dieses Jahres machte sie sich deshalb selbständig. „Ohne diesen Schritt wäre ich heute keine Friseurin mehr“, sagt die Wolfurterin. „Klar, als Selbständige arbeite ich auch viel. Aber ich baue mir selber etwas auf, das ist es mir wert.“ Außerdem hat sie das Glück, noch zuhause wohnen zu können. „Dabei würde ich mit 27 schon gern ausziehen. Aber wohin? In Vorarlberg ist mit einem Friseurgehalt nicht einmal mehr die kleinste Wohnung leistbar.“ Ganz zu schweigen von Kaufen oder Bauen: „Bei einem Gehalt von 1400 Euro genug ansparen, um 20 Prozent des Preises für einen Kredit zu haben? Das ist unmöglich! Natürlich denken sich da viele Junge: Wozu Vollzeit ohne Zukunft?“

Das sei nicht nur in ihrer Branche so. „Ich habe viele Bekannte, die etwa als Floristin, Erzieherin, Arzt-assistentin oder Pflegerin arbeiten – die typischen Frauenberufe eben“, sagt Larissa. „Und alle sagen, dass sie kaum über die Runden kommen. Oder es als Alleinstehende gar nicht könnten.“ Eine Unmöglichkeit, findet die 27-Jährige: „Es kann doch nicht sein, dass es Luxus ist, den eigenen Traumberuf auszuüben. Dass man sich den eigenen Job leisten können muss.“

Land und Firmen gefragt

Bei der Ausgestaltung der Löhne müsse deshalb die Lage Vorarlbergs stärker berücksichtigt werden, sagt sie: „Wir haben Preise wie in der Schweiz, aber Löhne wie bei uns in Österreich. Eine Friseurin im Burgenland verdient gleich viel wie eine im Ländle – zahlt aber nur einen Bruchteil für Leben und Wohnen.“ Da müsse der Staat einlenken. Aber nicht nur der. „Auch die Arbeitgeber müssen bereit sein, mehr zu zahlen, um gutes Personal zu bekommen und zu halten. Denn ‚jeder ist ersetzbar‘ gilt heute nicht mehr. Es ist ja niemand mehr da.“

Arm trotz Arbeit: "Working Poor"

Das Phänomen, dass das Gehalt nicht zum Leben reicht, hat einen Namen: „Working Poor“ oder auch Erwerbsarmut. „Einfach gesagt, bedeutet das: Armut trotz Arbeit“, weiß Dominic Götz von der Arbeiterkammer (AK) Vorarlberg. Etwa jeder Zehnte der hierzulande Beschäftigten zwischen 18 und 64 Jahren ist davon betroffen. „Ein geringer Lohn ist dabei meist nur ein Aspekt, der zur Armut oder Armutsgefährdung beiträgt“, so Götz. „Atypische Beschäftigung, also etwa Geringfügigkeit, Teilzeit oder Befristungen und prekäre Arbeitsverhältnisse gehen damit oft einher.“

Hohes Armutsrisiko in Vorarlberg

Von Armut oder sozialer Ausgrenzung sind laut der AK in Vorarlberg sogar 23 Prozent der Gesamtbevölkerung bedroht. Zum Vergleich: Im Ö-Durchschnitt sind es 17 Prozent. Als armutsgefährdet gilt, wer weniger als 60 Prozent des Medianeinkommens verdient. Bei einem Ein-Personen-Haushalt sind das 1371 Euro, mit Kind 1783 Euro. Für zwei Erwachsene liegt die Schwelle bei 2057 Euro, mit zwei Kindern bei 2880 Euro. „Diese Zahlen beziehen sich auf das vergangene Jahr 2021 und werden natürlich mit der starken Inflation mitwachsen“, sagt Götz. „Wir wissen jetzt schon, dass die Haushalte an oder unter diesen Grenzen besonders von der Teuerung betroffen sind.“

©Jürgen Gorbach/AK

Bestimmte Branchen betroffen

Zu den schlechter bezahlten Branchen gehören (nicht nur in Vorarlberg):

  • Handel; Instandhaltung und Reparatur von KFZ
  • Beherbergung und Gastronomie
  • Erziehung und Unterricht
  • Gesundheits- und Sozialwesen
  • Land- und Forstwirtschaft; Fischerei

Die Nettomedianeinkommen (das heißt, je die Hälfte verdienen mehr bzw. weniger) ohne Sonderzahlungen reichen hier von 1300 Euro bis 1600 Euro.

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(WANN & WO)

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