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Flammender Appell Selenskyjs für Wiederaufbau der Ukraine

Ukrainischer Präsident per Video bei Wiederaufbau-Konferenz in Lugano
Ukrainischer Präsident per Video bei Wiederaufbau-Konferenz in Lugano ©APA/AFP
Mit einem flammenden Appell hat der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj für den Wiederaufbau seines zerstörten Landes geworben.

Es sei die "gemeinsame Aufgabe der gesamten demokratischen Welt", die Ukraine wieder aufzubauen, sagte Selenskyj am Montag in einer Video-Ansprache zum Auftakt der Konferenz zum Wiederaufbau der Ukraine in Lugano in der Schweiz. Delegationen aus fast 40 Ländern beraten auf dem zweitägigen Treffen über eine Art Marshall-Plan für die Ukraine.

Hochrangige Delegationen

Für die Ukraine nahm unter anderem Regierungschef Denys Schmyhal an der Konferenz teil. Außenminister Dmytro Kuleba musste seine Teilnahme Berichten zufolge krankheitsbedingt kurzfristig absagen.

Außerdem waren hochrangige Delegationen aus 37 weiteren Ländern, Vertreter von 14 internationalen Organisationen sowie hunderte Wirtschaftsvertreter und Repräsentanten der Zivilgesellschaft vertreten - darunter EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und die Ministerpräsidenten Polens, Tschechiens und Litauens. Am Dienstag wird auch Europaministerin Karoline Edtstadler (ÖVP) an der Konferenz teilnehmen.

Ukraine will Aufbau mit russischem Geld

Der ukrainische Regierung will den Wiederaufbau ihres kriegszerstörten Landes zu einem großen Teil mit russischem Geld finanzieren. Nötig seien nach Schätzungen mindestens 750 Milliarden Dollar (knapp 720 Milliarden Euro), sagte Regierungschef Schmyhal am Montag in Lugano. Herangezogen werden sollten die rund 300 bis 500 Milliarden Dollar Vermögenswerte des russischen Staates und von Oligarchen, die weltweit eingefroren seien, sagte Schmyhal.

Juristen betonen, wie schwierig es ist, eingefrorene Vermögenswerte zu konfiszieren und auszugeben. Nötig wären unter Umständen Urteile vor internationalen Gerichten. Oligarchen müsste eine direkte Verantwortung für Beiträge zum Kriegsgeschehen nachgewiesen werden.

Ausführlicher Wiederaufbauplan

Schmyhal präsentierte rund 1.000 Vertretern von Geberländern sowie internationalen Organisation und Finanzinstitutionen einen ersten, hunderte Seiten dicken Wiederaufplan. Sein Land brauche aber auch finanzielle Unterstützung anderer Länder, des Privatsektors und Kredite. Er appellierte an Partner, die dringendsten Reparaturen umgehend in Angriff zu nehmen, etwa Wasserversorgung und Brücken. Sein Land habe bereits Infrastruktur im Wert von 100 Milliarden Dollar verloren.

Die Europäische Union werde die Ukraine unterstützen, bekräftigte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen. "Europa hat eine besondere Verantwortung und ein strategisches Interesse daran, die Ukraine auf diesem Weg zu begleiten", sagte sie. Seit dem Beginn des Krieges habe die EU 6,2 Milliarden Euro finanzielle Unterstützung mobilisiert. "Und Sie wissen: es kommt noch mehr."

EIB will Hilfsprogramm auflegen

Die Europäische Investitionsbank (EIB) will zum Wiederaufbau der Ukraine ein ähnliches Hilfsprogramm wie schon in der Coronakrise auflegen, das bis zu 100 Milliarden Euro aufbringen soll. Die EU-Förderbank will ihren Vorschlag im Tagesverlauf auf der Konferenz in Lugano vorlegen.

Die EIB schlägt einen EU-Ukraine Gateway Trust Fund (E-U GTF) vor, für den von EU-Ländern und aus dem EU-Haushalt zunächst 20 Milliarden Euro in Form von Zuschüssen, Darlehen und Garantien bereitgestellt werden sollen, wie aus einem von Reuters eingesehenen Dokument hervorgeht. Mit Hilfe privater Investoren sollen dann bis zu 100 Milliarden Euro mobilisiert werden, was etwa der Hälfte des unmittelbaren Bedarfs der Ukraine entspreche. Das Geld solle vor allem für den Wiederaufbau der Infrastruktur wie Brücken, der Wasser- und Energieversorgung aber auch der Telekommunikationsnetze verwendet werden.

Die EU-Kommission und die EU-Staaten müssen ihm noch zustimmen. Der Vorschlag ähnelt einem Hilfsprogramm, das die EU mit Hilfe der EIB zur Unterstützung kleiner und mittlerer Unternehmen in der Coronakrise aufgelegt hatte.

UNO appelliert an Solidarität

Die Vereinten Nationen appellieren unterdessen an die Solidarität der Weltgemeinschaft, um die verheerenden Folgen des russischen Angriffskriegs in der Ukraine zu meistern. "Wir haben in Deutschland selbst in unserer Geschichte Solidarität erfahren", sagte der Chef des UNO-Entwicklungsprogramms (UNDP), Achim Steiner, am Montag vor Beginn der Konferenz in Lugano. Er vertritt UNO-Generalsekretär António Guterres bei der Konferenz, auf der die Ukraine erstmals ihren Wiederaufbauplan präsentieren will.

Den Ukrainerinnen und Ukrainern zu helfen, werde die westlichen Volkswirtschaften nicht über Gebühr belasten. "Und es wird gleichzeitig auch im Eigeninteresse Europas dazu beitragen, dass wir nicht in eine noch katastrophalere Situation kommen", sagte Steiner. Auch Russland könne zur Verantwortung gezogen werden. "Es kann über Resolutionen der Vereinten Nationen ein Fonds etabliert werden. Das ist noch etwas verfrüht, unser Augenmerk jetzt ist es, die Kampfhandlungen zu beenden. Danach überlegt man, wie man den Wiederaufbau finanzieren kann, einschließlich Beiträgen Russlands."

"Rückschlag für die Menschheit"

Die Vereinten Nationen haben auch die Sorge, dass die zahlreichen anderen Krisen in der Welt aus dem Blickfeld geraten, wie Steiner sagte. Es gehe um die Klimakrise, Konflikte in Syrien, der Sahel-Zone, Myanmar, Afghanistan und anderswo. "Wir bewegen uns in der internationalen Politik zurzeit auf eine Weise, die viel mit Konflikt und Konkurrenz zu tun hat, und damit, mit militärischer Perspektive Eigeninteressen in die Zukunft zu projizieren. Das ist ein Rückschlag für die Menschheit", sagte Steiner. "Wir sind in der Lage, alle diese Krisen zu bewältigen. Aber nicht, wenn wir uns nur auf eine konzentrieren und uns vom Rest der Welt abwenden."

Lugano ist keine Geberkonferenz, vielmehr sollen die Prioritäten und das Vorgehen beim Wiederaufbau festgelegt werden, der noch während des Krieges beginnen soll. Die Konferenz, die unter strengen Sicherheitsvorkehrungen stattfindet, war schon lange vor Kriegsbeginn geplant gewesen. Ursprünglich sollten dabei Reformen in der Ukraine erörtert werden. Insbesondere die weit verbreitete Korruption im Land wird mit Sorge gesehen.

Die Konferenz für den Wiederaufbau der Ukraine wird 2023 Großbritannien ausrichten. "Wir haben die Ukraine während des Krieges federführend unterstützt und werden auch in Zukunft den Wiederaufbau- und Entwicklungsplan der ukrainischen Regierung federführend unterstützen", sagt die britische Außenministerin Liz Truss. Der Wiederaufbau der Ukraine werde ein Symbol für die Macht der Demokratie über die Autokratie sein. Er werde dem russischen Präsidenten Wladimir Putin vor Augen führen, "dass seine Versuche, die Ukraine zu zerstören, nur zu einer stärkeren, wohlhabenderen und geeinteren Nation geführt haben."

(APA/AFP/dpa/Reuters)

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