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Kinderärzte: Präventionsmaßnahmen statt Schulschließung

Die Österreichische Gesellschaft für Kinder- und Jugendheilkunde (ÖGKJ) spricht sich für bessere Präventionsmaßnahmen innerhalb der Bildungseinrichtungen statt Schulschließungen und Distance Learning aus.
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In einer Stellungnahme wurden etwa eine Erhöhung der Mindestabstände, Plexiglaswände, konsequentes Maskentragen der Lehrer und Lehrerinnen außerhalb der Klassen sowie flexiblere Schulstart- und -endzeiten angeregt.

"Weitreichende Auswirkungen"

"Die Entscheidung über Schulschließungen sollte nicht durch unbewiesene Meinungen, fälschlicherweise von anderen Erkrankungen abgeleitete Annahmen oder unbegründete Angst geleitet werden, sondern auf wissenschaftlicher Evidenz, welche laufend zunimmt, basieren", betonen die Kindermediziner. Kinder würden sich seltener infizieren, weniger häufig symptomatisch erkranken und das Virus seltener weitergeben als Erwachsene. Dies gelte insbesondere für Kinder unter 14 Jahren.

Die Schließung von Bildungseinrichtungen hätte nicht nur gravierende Folgen für die Ausbildung, sondern auch "weitreichende Auswirkungen auf das soziale, psychische und geistige Wohlbefinden der Kinder und Jugendlichen", so die ÖGKJ. Dazu stellten sie auch die meist berufstätigen familiären Betreuungspersonen vor große Herausforderungen und führten durch deren Ausfall zu Problemen in der Arbeitswelt. Und: "Bei Auftreten eines Infektionsfalles innerhalb einer Kinderbetreuungseinrichtung/Schule ist eine Kontaktpersonen-Nachverfolgung wesentlich einfacher und effizienter möglich als in vielen anderen Bereichen."

Unterricht auch als K1-Kontaktperson

Zur "Entschärfung" des Transports von und zur Schule schlagen die Kindermediziner eine Erhöhung der Schulbus-Kapazität und stundenweise Arbeits-Freistellungen für Eltern vor, um die Kinder individuell in die Schule zu bringen. "Dies wäre für Arbeitgeber besser als komplette Schulschließungen."

Außerdem könnte das Kontaktpersonen-Management verbessert werden: Ein einzelner positiver Fall unter Schülern müsse nicht zwangsweise zur Absonderung der gesamten Klasse bzw. aller betroffener Lehrkräfte führen. Die Plexiglaswände würden dazu beitragen, dass bei einem erkrankten Lehrer nicht mehrere Klassen abgesondert werden müssten bzw. umgekehrt. Schließlich sollten die Pädagogen als Schlüsselpersonal gewertet werden und auch als K1-Kontaktperson freiwillig unter Einhaltung der Hygienemaßnahmen unterrichten können.

Bildungsminister Heinz Faßmann.

Weiters schlagen die Kindermediziner die Evaluierung der Empfehlung vor, bei Infektionen von Kindern bis zehn Jahren nicht die ganze Klasse abzusondern, sondern ohne den infizierten Schüler weiter zu unterrichten und zu testen. Sollte diese positiv ausfallen und keine vermehrten weiteren Infektionen bei nicht abgesonderten Klassen auftreten, könnte dieses Vorgehen auf die Gruppe der bis 12- oder 14-Jährigen ausgeweitet werden.

Wut-Brief von Eltern-Initiative

Die "Initiative Eltern" machte ihrem Ärger zum Homeschooling indes auf Facebook Luft. Die Gruppe, welche sich nach eigenen Angaben durch die "Erfahrungen in der Corona-Krise initiativ geworden ist, um banalste Standards im Schulsystem einzumahnen" wendet sich in einem offenen Brief an den Bund und fordert eine Änderung des aktuellen Systems. Eltern seien nur mehr die "Befehlsempfänger", welche mit "Halbwahrheiten, Angst machen und Drohungen" in einen "dauerhaften Schwebezustand genötigt werden". Außerdem würde gegen die Datenschutzrichtlinien verstoßen werden, auch die Nutzung von Plattformen gewinnorientierter Unternehmen sei für die Schüler verpflichtend.

Ein weiterer Kritikpunkt der "Initiative Eltern" sei der Eingriff in das Privatleben und die "private Wohnung" der Eltern und Kinder. Hier heben sie besonders die Notwendigkeit einer Anschaffung von Laptop, Drucker, Internetanschluss und weiteren technischen Geräten hervor.

Der Brief im Wortlaut:

Sehr geehrter Herr Bundesminister!
Sehr geehrte Bildungsdirektorinnen und Bildungsdirektoren!

"Bei Schülern und Eltern bricht die Wut durch" titelt am 2. November die Süddeutsche Zeitung. Diese Schlagzeile könnten auch die österreichischen Medien bringen. Sie wäre mehr als angebracht.

Würden Sie Ihr Kind täglich sechs oder mehr Stunden vor den Bildschirm zwingen? Nein? Die Schulen tun es.

Das Ministerium hat aus dem ersten Lockdown nicht viel gelernt. Die Schulen behandeln Eltern wie Befehlsempfänger. Statt Druck herauszunehmen, passiert das Gegenteil. Eltern, Kinder und Lehrer*innen werden in einen dauernden Schwebezustand genötigt, mittels fragwürdiger Methoden: Halbwahrheiten, Angst machen, Drohungen.

Es heißt, dass die Teilnahme am Online-Unterricht verpflichtend ist. So verpflichtend wie der Kauf von Laptop, Router, Drucker und Internetanschluss. Die Schulpflicht kann nicht bedeuten, dass Eltern zu Hause Schulunterricht gewährleisten. Nichts davon kann verpflichtend sein – und natürlich auch nicht die Benotung.

Die Schulen verstoßen laufend gegen die elementarsten Datenschutzregeln und zwingen die Kinder in private Netze wie Microsoft Teams. Weshalb gibt es eigentlich keine öffentliche, nicht gewinnorientierte Bildungsplattform für Kinder, Eltern und Lehrer*innen und für Kindergärten, Schulen, Hochschulen und Universitäten? Was hat das Ministerium in den letzten Jahren hier gemacht? Nichts.

Wer hat das Sagen in der privaten Wohnung? Schule oder Eltern? Na, klar – die Eltern! Es kann nicht sein, dass Lehrer*innen bestimmen, was zu Hause geschieht.

Wenn Sie von jemandem etwas wollen, würden Sie dann mit dieser Person sprechen? Ja, natürlich! Die Schulen sprechen aber nicht mit Eltern. Sie glauben, die Familien sind Untertanen, die sich alles gefallen lassen müssen. Die Elternvereine sind im Tiefschlaf und tun nichts.

Trotzdem wird Angst unter den Kinder verbreitet: Wer nicht mittut, bekommt schlechtere Noten!

Das Bildungsministerium provoziert soziale Ausgrenzung. Die, die dem Online-Zwang nicht nachkommen wollen oder können, werden als Minderleister ausgegrenzt und diffamiert. Das ist das Gegenteil von dem, was wir in der Krise brauchen. Das ist die Welt der Bürokraten: statt die Vorschriften an die Bedürfnisse der Menschen anzupassen, werden die Menschen in untragbare Situationen gezwungen.

Eltern müssen täglich einen großen Beitrag leisten zum schulischen Fortkommen ihrer Kinder und können in so weitreichenden Entscheidungen nicht weiter ignoriert werden. Wir brauchen gegenseitige Wertschätzung und Kooperation aller beteiligten Gruppen.

Vertrauen ist das Zauberwort. Vertrauen in die Fähigkeiten der Menschen vor Ort, die Krise gemeinsam und verantwortungsvoll zu meistern. Dieses Zauberwort kennt das Ministerium nicht. Jede Klasse müsste die passendste Methode des Homeschoolings mit den Eltern klären.

Es ist an der Zeit, dass das Schulsystem banalsten demokratischen Standards entspricht. Und das heißt, dass alle Betroffenen eingebunden werden, also Kinder, Eltern und Lehrer*innen.

Was folgt daraus?


Wir folgen in unseren Forderungen – leicht adaptiert – den Voschlägen des Bildungswissenschafters Stefan Hopmann:

  • Es ist gut, wenn Schulen und Lehrkräfte weiterhin Lernmaterial und andere Online-Angebote zur Verfügung stellen. Das verhilft vielen zu sinnvollen Beschäftigungen. Art und Umfang der Teilnahme können nicht verpflichtend sein.
  • Daraus folgt auch: Niemand darf durch Leistungen oder deren Ausbleiben nach Übergang zum E-Learning ein Nachteil entstehen, keine Note verschlechtert und keine Versetzung gefährdet werden.
  • Insbesondere ist eine sozial und pädagogisch faire Vorbereitung auf Schularbeiten, Tests und Prüfungen bis auf Weiteres nicht möglich. Deswegen sollte auf deren Durchführung bis auf Weiteres verzichtet werden.

Alle drei Punkte sollten unverzüglich rechtsverbindlich werden, um Angst und Druck abzubauen.

Mit freundlichen Grüßen
Birgitt Müller eh., Peter Androsch eh.

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(APA)

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