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Vom Stift zur Bibliothek

©Gustav Willeit
Bauen im Bestand ist ein Architekturthema, das immer wichtiger wird. An der Vorarlberger Landesbibliothek sieht man, wie das geht.

Der Umbau der Vorarlberger Landesbibliothek in Bregenz steht als Sanierungsprojekt für eine Bauaufgabe, die zukünftig zunehmend an Bedeutung gewinnt. Nachdem unsere Städte und Dörfer heute weitgehend gebaut sind und es wichtiger wird, möglichst keine neuen Flächen zu verbrauchen und zu versiegeln, sondern vorrangig im Bestand weiterzubauen, wird in den nächsten Jahren die Sanierung gegenüber dem Neubau eher der Normalfall als der Sonderfall sein.

Ensemble: Die Gebäudegruppe befindet sich in wunderbarer Lage am Siedlungsrand von Bregenz oberhalb der Innenstadt, direkt dahinter beginnt der Wald. Der Garten trägt zur Qualität Wesentliches bei.

Im äußersten Siedlungsrand der Stadt Bregenz und am Hang des Gebhardsbergs oberhalb der Innenstadt befindet sich die Vorarlberger Landesbibliothek. Das Architekturbüro Ludescher + Lutz Architekten aus Bregenz hat den Bestand nun neu strukturiert, den Zugang deutlich attraktiver und funktionaler gemacht, die Publikumsräume adaptiert und das Potenzial für zukünftige Erweiterungen geschaffen. Wenn man sich von unten nähert, sieht der imposante Bau wie ein Gymnasium oder ein altösterreichisches Verwaltungsgebäude aus, er wurde jedoch als Kloster errichtet. Der "Geniu loci" also die besonderen Merkmale des Ortes, reichen in beinahe mythische Zeiten zurück, hier befand sich wohl eine der ältesten klösterlichen Niederlassungen Mitteleuropas, begründet von irischen Mönchen im 7. Jahrhundert. An dieser Stelle stand seit dem 14. Jahrhundert die Burg Babenwohl, Anfang des 20. Jahrhunderts siedelte sich das Benediktinerkloster St. Gallus an, das ein Konglomerat an Gebäuden dazubaute, vom Wohntrakt bis zum Kirchenbau. In der Nazizeit eine landwirtschaftliche Schule, wurde aus dem Bau nach dem Zweiten Weltkrieg ein Mädchengymnasium, bis in den 1980er-Jahren die Mönche das Areal verließen. Genau hier, an diesem für eine Landesbibliothek etwas ungewöhnlichen Ort, außerhalb des Zentrums in wunderbarer Lage, verortete das Land die damals neu gegründete Bibliothek.

Eingang: Das Ensemble vom Garten aus, mit der neuen Freitreppe, dem Sichtbetonportal und den Baukörpern, zwischen denen man nun hindurchgehen kann. Links sind die Publikumsräume, rechts die Verwaltung.

Die Architekten begannen damit, das Ensemble städtebaulich neu zu gliedern, sodass man für weitere Entwicklungen gewappnet ist. Die jetzigen Maßnahmen umfassen nur Teile der Anlage. Nicht zuletzt durch das Entfernen eines Verbindungstrakts aus den 1980er-Jahren zwischen Kloster und Burg konnte als Potenzial eine zukünftige Erweiterung um einen Archivtrakt hinter den Bestandsbauten vorgesehen werden, der einen neuen Hof bilden könnte. Ein solcher Neubau würde es möglicherweise erlauben, die Bestände an diesem Ort zu versammeln. Ob und wann dieses Potenzial eingelöst werden soll, wird sich zeigen. Der neue Eingang liegt nun an der optimalen Stelle, im Risalit, dem vorspringenden Gebäudeteil in der Mitte des Klostertrakts, wo man ihn bei einem solchen Bau ohnehin vermuten würde. Bisher war der Haupteingang direkt an der Straße, vom Nordostende der langen Gebäudereihe und nicht vom davorliegenden Garten aus.

Portal: Wo sich einst Erdgeschoßfenster ins Refektorium bzw. in den Lesesaal befanden, ist nun der Eingang zur Landesbibliothekt, der ins Foyer führt.

Nun geht man durch diesen Garten und über eine neue, breite Freitreppe auf eine Sichtbetonwand mit drei Bogentoren zu, die vor das Bestandsgebäude gestellt wurde. Das bringt den Zugang dorthin, wo man ihn als unwissender Besucher suchen würde; es verbindet das Gebäudeinnere organisch mit dem schönen Garten davor; und es erlaubt eine wesentlich bessere innere Erschließung von der Mitte der Gebäudereihe aus. Früher lag hier das Refektorium, in den 1980erJahren der Lesesaal – und nun die helle Eingangshalle, die als Verteiler in alle Bereiche der Bibliothek dient: in den neuen, zentralen Servicebereich, in den „Kuppelsaal“ der Bibliothek, die ehemalige Kirche, die einen Großteil der Regale enthält und in den 1980er-Jahren gestaltet worden war, aber ebenso in die alte Stiftsbibliothek und zum Stiegenhaus. Die ehemalige Burg enthält nun die Verwaltungsräume, die mit einem unterirdischen Verbindungsgang und Lift an die Bibliotheksräume angebunden sind.

Die Eingangshalle bietet Lounge-Atmosphäre, von ihr aus geht es in den Servicebereich und in den ersten Stock. Entlang der Mittelwand verläuft ein Regal in Eiche mit Neuerscheinungen und Zeitungen.
Das Neuerscheinungsregal in der Eingangshalle und mittig der Durchgang zum Servicebereich mit Abholung, Rückgabe und Recherche-Arbeitsplätzen. Die Halle verknüpft alle Publikumsbereiche.
Das Erscheinungsbild der historischen Stiftsbibliothek, die ab 1910 errichtet wurde, inspirierte die Neugestaltung der Innenräume: Terrazzoböden, Eichenholzregale und alte Folianten.

Materialität und Atmosphäre der neuen Innenräume werden von Terrazzoböden und Regalen aus Eiche bestimmt und orientieren sich an der Stiftsbibliothek, die hundert Jahre alt ist, sie bieten einerseits zeitgenössischen Ausdruck und andererseits den Bezug zum historischen Kontext. Während im Erdgeschoß der neue Eingang und die Großzügigkeit des Foyers die Neugestaltung ausmachen, ging es im ersten Obergeschoß um die Verbesserung der Nutzbarkeit. Hier befinden sich Gruppenräume, die für gemeinsames Lernen und Recherchieren unkompliziert gemietet werden können. In der Gebäudemitte liegt der neue Lesesaal, der in beengte Raumverhältnisse und vor allem eine niedrige Geschoßhöhe integriert werden musste. Der Saal wird optisch erhöht durch eine spiegelnde Decke, deren Umsetzung im schwierigen Raumbestand sich als höchst aufwendig erwies. Umso lohnender ist das Resultat, ein wunderbar warmer, trotz geringer Höhe luftiger Raum mit den Präsentationsregalen für Zeitschriften in Eiche rundum.

Daten und Fakten

Objekt Umbau Vorarlberger Landesbibliothek, Bregenz
Bauherr Land Vorarlberg
Architektur Ludescher + Lutz Architekten, Bregenz www.ludescherlutz.at Statik Gaisberger ZT, Dornbirn, www.zt-gaisberger.at
Fachplanung Archäologie: ARDIS, Innsbruck; Infrastruktur: Rudhardt/Gasser/Pfefferkorn, Bregenz; Bauphysik: Lothar Künz, Hard; Garten: Eugen Sturmlechner, Bregenz; Brandschutz: K&M, Lochau; Klima: Marte Diem, Bregenz; Elektro: Renè Fröhle, Schlins; Bundesdenkmalamt Vorarlberg
Planung 03/2019–09/2020
Ausführung 09/2020–11/2021
Nutzfläche 600 m² (Umbau)
Ausführung Möbel: Lenz-Nenning, Dornbirn; Fenster, Türen: Hartmann, Nenzing und Ammann, Göfis; Terrazzo: Lerbscher, Hard; Geschnitzt Tür: Raimund Löhr, Rengersweiler; Heizung, Sanitär: Wolfgang Boch, Hörbranz; Lüftung: Hörburger, Altach; Elektro: Pircher, Bregenz & EGD, Dornbirn; Spengler: Vonbank, Hard; Estrich: Küng, Thüringen; Schlosser: Harald Simeoni, Andelsbuch; Fliesen: Bad 2000, Nüziders; Verputz: Steurer, Höchst; Trockenbau: Formart, Lauterach; Abbruch: Moosbrugger, Lauterach; Maler: PG, Höchst
Baukosten 3,3 Mill. Euro

Der neue Lesesaal im ersten Stock ist niedrig, aber wirkt nicht so: Die verspiegelte Decke, die Helligkeit durch die großen Fenster und die großzügige Gestaltung machen es möglich.
Das bestehende Stiegenhaus, ergänzt durch einen Lift, führt von den Publikumsräumen im Erdgeschoß - Eingangshalle, Servicebereich, Kuppelsaal - zu Lesesaal und Gruppenräumen im ersten Stock.

Text: Robert Temel | Fotos: Gustav Willeit

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